Da könnte jetzt was deine Heimat werden – Interview mit Deyar Teil 1/3

Ich treffe Deyar in seinem Friseursalon „Fabulous Hairdresser in der Kölnstraße an einem Montagabend. Ich habe Deyar vor ca. 2 Jahren kennen gelernt. Auf die Empfehlung eines gemeinsamen Freundes hin, habe ich ihn damals aufgesucht, mit dem Wunsch mir endlich einen langen Vollbart wachsen zu lassen, nachdem ich schon mehrere erfolglose Versuche hinter mich gebracht hatte. Das mit dem Bart hat geklappt, auch wegen Deyars Zuversicht. Seither freue ich mich jedes Mal, wenn der Friseurtermin ansteht, weiß ich doch vorher nie genau, was mich heute erwartet. Stets bin ich mir aber sicher, dass im Rahmen entspannter Atmosphäre überraschende interessante Gespräche zustande kommen.

Ich: Ok Deyar, wer bist du eigentlich und was machst du?

Deyar: Ich bin Deyar, bekannt als Bartmann, Friseur in der Bonner Altstadt. Das bin ich.

Ich: Cool. Wie bist du denn dazu gekommen, was du heute machst. Der Bartmann bzw. der Altstädter Friseur?

Deyar: 2011 habe ich angefangen in Beuel meine Ausbildung zu machen. Damals wollte ich mehr mit jungen Leuten arbeiten und bin ich ins Bonner Loch, zu der Unterführung, wo die Gaby war. Da habe ich 6 Monate gearbeitet, aber schnell gemerkt, da geht es nur um die Masse. Deshalb hab ich da aufgehört und bin dann zu einem klassischen Salon gegangen, wo man noch ganz klassisch Dauerwelle, waschen, föhnen gemacht hat. Nach einem knappen Jahr bin ich dann zu Fabios Onkel, dem Salvatore, und hab dort meine Ausbildung abgeschlossen. Parallel habe ich mit dem Meister angefangen. Irgendwann hat dann Fabios Onkel mich angerufen, und gesagt – „guck mal mein Neffe will den Laden verkaufen, du wolltest dich doch selbstständig machen“ – ja und so kam ich dann hierher.

Ich: Und dann hast du den Laden gekauft…

Deyar: Genau. Das war am Anfang gar nicht so der Gedanke, dass das so wird. Ich habe nie soweit gedacht, dass ich lang im Voraus Termine voll hab und dass ich den Kunden mal absagen müsste, weil ich so viel zu tun hab. Aber dann langsam, langsam hat sich die Qualität durchgesetzt.

Ich: Und jetzt hast du dich gemausert und bist schon recht erfolgreich mit dem Laden, oder?

Deyar: Ja, kann man so sagen (lacht).

Ich: Sehr cool. Aber hattest du früh schon Interesse an Haaren, frisieren und so weiter? Du hattest mir mal erzählt, dass du das mit dem Faden schneiden schon im Irak, mit ganz jungen Jahren gelernt hattest, oder?

Deyar: Als ich noch im Irak war, hat man das halt mit dem Faden gemacht. Als Junge habe ich immer den Leuten im Freundeskreis mit dem Faden die Haare geschnitten. Das lernst du dann halt dort schnell, einen Bart zu machen, Haare zu schneiden. Das war aber weit weg vom deutschen System mit Ausbildung. Interesse hatte ich schon immer daran gehabt, aber als ich dann hier ankam, stieg das Interesse, weil ich gemerkt habe, dass man damit mit den Menschen in Kontakt kommt. In dem Salon, durch den Friseurstuhl. Und dann wurde das halt für mich das Wichtigste. Kurz nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, 2009 war das, habe ich meine Ausbildung begonnen. Zunächst war ich im Sprachkurs. Das war im Berufskolleg und dort hatten wir zwei Kurse: Koch und Friseur. Und Nähen gab es auch glaub ich. Da hat die Lehrerin mir gesagt, ich könne mich entscheiden in welche Richtung ich gehen möchte. Zunächst habe ich erstmal Koch gesagt. Da habe ich aber nach zwei bis drei Wochen gemerkt, dass mir das keinen Spaß macht.  Dann bin ich in den Friseurbereich gewechselt und Frau Hoffmann hat mir beigebracht, wie man die Haare der Puppe föhnt. Die hat dann schnell gemerkt – „ok du hast dieses Talent“ – und hat mich gefragt, warum ich nicht eine Ausbildung mache. Und dann habe ich gesagt – „yeah, wie geht das“ – und Sie hat mir dann geraten erstmal ein Praktikum zu machen. Als ich dieses Praktikum gemacht habe, da war ich noch ziemlich neu in Deutschland, weißt du, ich hatte keine Freunde ich kannte Niemanden. Und als ich dann in den Salon reingegangen bin, da hatte ich auf einmal Kontakt zu Menschen und dieses Gefühl gehabt – „Ah, da könnte jetzt was deine Heimat werden“ – und dann habe ich gesagt – „ey könnte ich mich dran gewöhnen“. Und ziemlich nach zwei Wochen, hatte ich dann die ersten Kontakte zu Menschen, es kam zu dem ersten Austausch von Nummern – „ey wir gehen am Wochenende zum Schwimmbad, willst du nicht mitkommen“. Und so habe ich dann schnell die Leidenschaft entdeckt, ok mit Menschen in einem neuen Laden als Friseur, bist du immer im Mittelpunkt und das wollte ich haben (lacht).

Deyar in Aktion

Ich: Also kann man gar nicht die Frage stellen, was dein größeres Interesse ist, die Kunden oder die Haare, sondern beides geht in einem…

Deyar: Also, ich bin schon ein sehr neugieriger Mensch, ich will immer so viel wissen und erleben. Ich habe ein großes Interesse an dem Menschen, der da auf dem Stuhl sitzt. Und wenn ich einen Menschen da sitzen habe und seine Geschichte erfahre, wer er ist und was er so macht, kann ich den Haarschnitt auch besser entwickeln. Interesse habe ich an beidem. Und die Leidenschaft für die Haare ist schon krass.

Ich: Wenn du mit deinen Kunden in Kontakt trittst, haben die sicher auch großes Interesse an dir, oder?

Deyar: Ja, auf jeden Fall. Mir wird häufig die Frage gestellt, wie es im Irak so wäre. Ich sag dann, dass ich vor langer Zeit abgehauen bin, wie das da heute so ist, weiß ich nicht so genau. Ich habe nicht mehr so viele Kontakte, aber durch meine Eltern krieg ich immer die Informationen was so passiert. Es gibt gute und es gibt schlechte Tage, aber bis jetzt – toi toi toi – sind alle aus meinem Heimatdorf noch am Leben.

Ich: Durch den Kontakt zu deinen Kunden kriegst du sicher auch viel mit über die Leute und was hier so in Bonn abgeht

Deyar: Oh ja sehr. Zum Beispiel du und ich und dass wir uns kennen gelernt haben. Bonn ist ja eine große Stadt aber auch gleichzeitig ein Dorf. Man trifft sich immer wieder und das ist auch ja das Schöne daran. Wenn ich jetzt Feierabend habe, dann gehe ich durch die Altstadt und treffe dort manchmal wieder meine Kunden. Dann trinke ich mit denen ein Bier, sitzen auf einer Bank und reden noch eine halbe Stunde, dann geht es erst nach Hause. Oder am Wochenende noch in der Kneipe treffen und da reden wir dann auch über Gott und die Welt.

Ich: Auf dem Weg den du beschritten hast, um hier jetzt anzukommen, da bist du ja unheimlich vielen Leuten begegnet. Gibst da welche, die raus stechen, bei denen du denkst, den würde ich eigentlich gerne Danke sagen?

Deyar: Oh ja, vielen. Ich habe fast nur gute Menschen kennen gelernt. Natürlich gibt es auch mal schwarze Schafe, aber ich danke allen, die in irgendeiner Art und Weise mir geholfen haben. Besonders dankbar bin ich meiner Lehrerin im Berufskolleg, die mir alles ermöglicht hat. Die haben mir nämlich gezeigt, da wenn du die Schule machst, dann kannst du auch erfolgreich werden. Dann haben mich meine Eltern immer unterstützt, bis heute, und natürlich die Freunde. Die Menschen, denen ich besonders danken möchte sind meine Kunden. Denn meine Kunden, die ich damals während meiner Ausbildung kennen gelernt, haben irgendwie alle an mich geglaubt, haben gesagt – „Deyar mach dich selbstständig, du hast das Potential dazu und das klappt“ – und das waren quasi meine Berater. Und auch heute helfen mir meine Kunden dabei manche Sachen richtig zu machen. Weil, ich schäme mich nicht. Wenn ich was nicht weiß, dann frage ich ja auch und bekomme meistens Hilfe. Durch die Neugierde, durch dieses offene Fragen stellen, schäme ich mich nicht zu fragen, wenn ich nicht weiterweiß. Und hier in Bonn kannst du wirklich jeden fragen, du bekommst immer eine Antwort. Und deswegen sage ich immer wieder zu meinen Eltern, dass ich eine neue Heimat habe und das ist Bonn das ist nicht mehr Irak, weil ich hier lebe.

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