Es fängt mit einem Lächeln an

Interview mit Saman

Ich treffe Saman am Rande des „Refugees Welcome Kulturcafé“ im Kult 41. Ich habe ihn vor zwei Jahren als den Leiter des Projektes „MéllonPolis – Zukunft der Gemeinschaft“ kennengelernt, in dem ich mich bei der Maßnahme Kultur-Tandem engagiere. Daneben ist er auch bekannt als der Sänger des KültürKlüngel Orkestar, einem integrativen Musikprojekt aus Bonn. Ins Rheinland hat es ihn mit 13 Jahren verschlagen, nachdem seine Familie aus dem Irak geflohen ist.

Ich: So Saman, wer bist du denn eigentlich?

Saman: (lacht, überlegt) Der Saman der nach seinem Glück sucht, sowas wie „Herr Rossi“. Ich bin. 37 Jahre alt. Lebe zwischen mehreren Welten. Beziehungsweise, da gibt es ein schönes Gedicht von Goethe, dass es wunderbar auf den Punkt bringt: „Wer sich selbst und andere erkennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ Man kann beides verbinden. These – Antithese – Synthese. Es kommt immer was Neues raus. Man muss schon was wagen, was ausprobieren, auch Fehler machen. Sonst lernt man nicht.

Ich: Was hast du denn zuletzt gelernt?

Saman: Beruflich?

Ich: Wir können das auch eingrenzen. Es geht ja um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Was hast du denn da zuletzt gelernt?

Saman: Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist viel Arbeit und keine einfache Arbeit. Denn die Menschen reden weniger miteinander. Es ist viel einfacher was Unpersönliches im Internet zu posten, ohne Jemandem dabei in die Augen zu schauen. Diese Überwindung das live zu machen ist für viele sehr schwer geworden.

Ich: Wann hast du denn das letzte Mal einen Fremden kennengelernt?

Saman: Gestern. Gestern beim Chor. Da kam einfach Jemand vor die Tür und hat sich unsere Plakate mit unserem Programm angeguckt. Ich habe einfach die Tür aufgemacht, ihn eingeladen, und da kam er rein, war begeistert und hat mitgemacht. Einfach ansprechen.

Ich: Fällt Dir das schwer, dich zu überwinden?

Saman: (überlegt kurz) Nee. Nur bei begehrenswerten Frauen. (lacht). Da fällt mir das schwer. Da hab ich einen Klotz im Hals. Aber sonst kein Problem, ich geh einfach auf die Menschen zu und rede mit denen, quatsch die einfach zu. Erstaunlicherweise kann ich das sehr gut. (lacht)

Ich: Wir waren ja bei gesellschaftlichem Zusammenhalt. Wie steht es denn deiner Meinung nach derzeit darum? Was ist der Status Quo?

Saman: Wenn ich so in meinen Mikrokosmos schaue, da sieht es sehr gut aus. Gesamtgesellschaftlich steht es aber sehr schlecht. Das liegt daran, dass die Menschen wie erwähnt weniger miteinander reden. Vor allem mal auf einen Fremden zugehen. Ich meine jetzt mit Fremden nicht gleich mit einem Geflüchteten, der vielleicht gar nicht meine Sprache kennt. Ich meine z.B. auch den Nachbarn, den ich nicht kenne. Wir gehen nicht aufeinander zu. Und in der digitalisierten Welt nimmt das reale Zusammenkommen immer mehr und mehr ab. Im Kontrast, klappt das in meinem Mikrokosmos sehr gut. Anfang meiner 20er da hatte ich große Ideale, ich wollte die Welt retten und verändern. Nur wurde mir irgendwann klar, ok, ich kann die Welt nicht alleine retten. Im Laufe der Zeit hat es auch Klick gemacht, ich kann mich selbst verändern. Und meine Umgebung. Indem ich einfach mit meiner Umgebung interagiere. Wenn das fruchtet, dann vervielfacht sich das. Die machen das dann ggf. nach. Ganz einfaches Beispiel: Freunde zum Essen einladen, das machen mittlerweile auch andere. Das muss man nicht neu erfinden – geht doch.

Ich: Also kann jede/r Einzelne einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten?

Saman: Absolut. Muss auch jede/r, das geht nicht anders. Also, wie sagt man so schön „Jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“ Da muss jede/r Einzelne was versuchen, sonst klappt das nicht in unserer Gesellschaft. In dem Wort Gesellschaft steckt ja das Gesellen, wenn man sich dazu „gesellt“ dann „schafft“ man es auch (lacht).

Ich: Und was sollten die deiner Meinung nach tun? Was wäre dein Rat an jeden Einzelnen? Wie könnten wir das im Alltag leben?

Saman: Es beginnt mit einem Lächeln. Einfach fremde Menschen anlächeln, einfach beim gehen. (Ein Teilnehmer verlässt den Stammtisch) Maa‘sallama Habibi. Tschüß, bis bald! Das ist ne Überwindung, hab ich auch manchmal festgestellt. Wenn ich zum Beispiel einen schlechten Tag hatte und über die Straße gehe, dann begegne ich einer Person, die Blicke treffen sich eigentlich nicht mal 2 Sekunden und dann traut man sich zu lächeln und man sieht automatisch der/die Gegenüber lächelt auch, das ist ein schönes Gefühl. Also ja, es fängt mit einem Lächeln an.

Ich: Wenn jetzt jemand sagt, ich kenn schon zu viele Leute oder man lernt ja auch mal nervige Leute kennen, was würdest du dem entgegnen?

Saman: (überlegt) Ich mein ich kenn auch sehr viele Menschen (lacht)! Denke ich auch manchmal, das ist Fluch und Segen zur gleichen Zeit. Ich versuche immer das Positive daran zu sehen. Klar, ich bin ja auch kein perfekter Mensch. Es gibt auch Tage, da habe ich auch keinen Bock mich mit Jemanden zu unterhalten.

Ich: Wenn du Bürgermeister von Bonn wärst…

Saman lacht

Ich: …was würdest du in deinen ersten 100 Tagen machen wollen?

Saman: (überlegt) Hm, schwierige Frage, ganz unvorbereitet. Aber so soll es ja auch sein… Ich würde auf die Bürger zugehen. Auf die Straße gehen, mit den Menschen reden. Ich würde an die Brennpunkte gehen, Tannenbusch, Bad Godesberg. Einfach mal auf die Menschen zugehen und herausfinden, was deren Sorgen sind, nicht die der Elite.

Ich: Was würdest du denen sagen?

Saman: Zuhören an erste Stelle. Was sind deren Sorgen? Ideen sammeln. Wo steht die Stadt, wo stehen die Menschen. Was brauchen die? Dagegen sind Versprechen schwierig.

Ich: Angenommen, man würde dir eine Werbekampagne schenken und du dürftest dir aussuchen worum es gehen soll. Was wäre das?

Saman: Also eine Aktion? Gemeinsames Essen auf der Straße! Essen verbindet Menschen. Maslows Pyramide der menschlichen Grundbedürfnisse. Wenn dieses Grundbedürfnis erstmal gedeckt ist, dann sind die Menschen entspannter und offener. Ich würde zu einem riesen Dinner aufrufen. Alle Bürger stellen Stühle und Tische auf die Straßen. Jeder bringt was zu essen mit. Wir speisen zusammen. Meinetwegen einmal pro Monat. Das macht sehr viel aus. Das ist wahre Nähe.

Auftritt des Kültür Klüngels am Rhein 2018

Ich: Kommen wir mal zu einem schwierigen Begriff. Was bedeutet für dich Heimat?

Saman: (überlegt) Freunde sind Heimat. Auch wenn ich Freunde auf der ganzen Welt habe. Für mich ist Heimat auch ein Gefühl. Aber auch da wo es leckeres Essen gibt (lacht)

Ich: Da ist es prinzipiell egal, wo du dich aufhältst?

Saman: Ja, auch wenn ich mit Bonn sehr verbunden bin. Aus Bonn würde ich ungern wegziehen. Ist so ne spießige Stadt, aber ich liebe sie trotzdem.

Ich: Weißt du noch wann du Bonn zu schätzen gelernt hast? Hattest du da ein Schlüsselerlebnis oder so?

Saman: Das merke ich immer, wenn ich aus dem Ausland zurückkomme. Da sage ich mir, dass es schön ist wieder zuhause zu sein. Na klar, es gibt auch Urlaube wo man sagt, ich will nicht zurück. Aber wenn man wieder da ist, denkt man sich „Och schön!“, man ist erleichtert.

Ich: Was machst du dann zuerst, wenn du dann zurückkommst. Oder worauf freust du dich?

Saman: Ich freue mich meine Wohnung bzw. Heimathöhle und Königreich! Da fühl ich mich am meisten geborgen.

Ich: Und wo findest du Abenteuer im Alltag?

Saman: Spontane Aktionen. Mich davon verleiten zu lassen. Wenn jemand sagt, „Ey Saman komm, wir gehen jetzt spontan da und da hin…“, da bin ich in der Regel sofort dabei. Das hat auch was mit Menschen zu tun. Abenteuer erlebt am besten mit Freunden. Ich reise allerdings auch gerne allein, da ist der Abenteuerfaktor noch viel größer. Die fünf Sinne schärfen sich viel mehr. Je mehr Mitreisende dabei sind, desto weniger Abenteuer. Ich kann beides. Aber ich tendiere mehr zu Gruppen. Ich kann mir das auch nicht vorstellen, nur alleine zu reisen. Aber na klar, auch wenn ich alleine reise schließe ich Freundschaften. Es ist ja nicht so, dass ich mit niemandem rede, wenn ich alleine reise.

Ich: Findest du es leichter im Ausland mit Leuten in Kontakt zu kommen?

Saman: Kann ich nicht so sagen. Nö. Also. Ich kann eigentlich überall mit Leuten in Kontakt kommen. Also auch hier in Deutschland.

Ich: Ist das anders?

Saman: Jein. Es ist hier anders, weil ich hier zu Hause bin. Im Urlaub, da bin ich als Gast. Da ist die Neugier von beiden Seiten groß. „Was ist das für‘n Typ?“ Und natürlich stell ich dann auch meine Fragen. Was bewegt die, was denken die, was mögen die, was mögen die nicht. Wenn ich irgendwo hin verreise, recherchiere ich über Land und Leute. Was gibt es für Bräuche, Geschichte, Politik. Natürlich weil ich sehr neugierig bin, aber auch damit ich nicht in Fettnäpfchen trete.

Ich: Jetzt steht ja auch die Europawahl bevor. Welche Hoffnung, welche Ängste begleiten dich?

Saman: Ich fange mit den Ängsten an. Mir macht dieser Rechtsruck in der Gesellschaft große Angst. In ganz Europa. Dass sich so viele von den Medien blenden lassen, Fakenews.

Dass die Wahlbeteiligung gering sein könnte. Natürlich haben viele Menschen Ohnmachtsgefühle, dass sie eh nichts tun zu können. Ich kenne auch einige, die keine Lust haben wählen zu gehen. Die sagen dann: „Warum, ich kann doch eh nichts bewegen.“ Ich denke mir Nein, das ist das Mindeste was wir machen können. Das ist ein hohes Gut, das wir wählen dürfen.

Das ist auch ein großes Problem hier in Europa und in Deutschland. 70 Jahre ist der letzte Krieg her. Die letzte Generation kennt keinen Krieg, die ist im Wohlstand aufgewachsen. Deshalb haben wir hier ein Luxusproblem. Deshalb versuche ich auch den Leuten zu erklären, geht wählen. Leider sind viele einfach zu bequem. Sie sind zu bequem, um sich über die Parteien zu informieren. Und lassen sich von einfachen Videoclips und Bildern beeinflussen. Selbst nachdenken ist zu schwer. „Das überlasse ich lieber anderen.“ Aber nein! Mensch, wagt mal selbst zu denken. „Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, wie Kant so schön sagte und das ist aktueller denn je. Die Menschen müssen selbstständig denken und auf die Straße gehen. z.B. die Bewegung Fridays for Future, die kann ich nur unterstützen. Ich find das so cool, dass die Kinder und Jugendlichen aus sich rauskommen und sagen „Ey das wollen wir nicht, das ist unsere Zukunft. Ihr habt nicht so damit umzugehen.“ Und das ist sehr lobenswert. Na klar, die werden von vielen Erwachsenen belächelt aber die 68er wurden genauso belächelt und die haben auch was bewirkt. Leider sind viele der 68er jetzt diejenigen, die häufig an der Macht sind. Viele von denen, nicht alle. Daher mein Appell, geht wählen und informiert euch! Auch an die jungen Menschen wenn ihr den Wahl-O-Mat benutzt, guckt euch auch die aufstrebenden Kleinparteien an. Es gibt nicht nur die Großen. Ganz wichtig. Wir brauchen mehr Demokratie. Wir müssen mehr Demokratie wagen, für Europa, für unsere Zukunft.

Ich: Und wenn du dir, sagen wir in 10 – 20 Jahren, Europa oder auch Deutschland vorstellst, was wäre deine Vision, dein Wunsch, dein Happy End?

Saman: Ein sozialer, transparenter und verantwortungsvoller Staat. Und unter Berücksichtigung der jeweiligen Bedürfnisse der Regionen und deren Traditionen, dass die eigenständig sind und keine Gesetze gegen deren Willen von oben diktiert bekommen. Also gemeinsame humanistische Werte, den kategorischen Imperativ. Dass jede/r Bürger denkt und leben kann wie er/sie möchte oder wie man so schön im Rheinland sagt, „Jede Jeck is anders“. Und/oder „levve un levve losse“.

Ich: Und wie könnten wir da hin kommen?

Saman: Weniger wirtschaftliche Profitgier. Das ist das Übel und die Ursache vieler Kriege. Gier ist ganz gefährlich. Stattdessen sollten wir mehr teilen. Das ist halt auch irgendwie das Absurde in unseren Gesellschaften, oder in Deutschland. Uns geht es relativ gut. Uns geht es im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf der Welt sehr gut. Da sind wir ganz oben. Keiner muss wirklich verhungern. Ja klar, die Schere zwischen Arm und Reich wird auch hier immer größer. Und dennoch, wir haben hier kein menschenunwürdiges Leben. Wir haben Meinungsfreiheit, können machen was wir wollen. Ich kann anziehen was ich will. Ich kann essen was ich will. Ich kann lernen was ich will. Aber man muss auch wollen. Wollen steht auch dahinter.

Ich: Das heißt der Einzelne muss mehr ans Gemeinwohl denken?

Saman: Absolut. Danke. Sehr schön zusammengefasst (lacht). Weniger Egoismus, mehr Gemeinschaft. Anderseits ist es ein zwiespältiges Verhältnis. Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto egoistischer sind die Menschen. Je ärmer eine Gesellschaft, desto mehr achten die Menschen aufeinander und halten mehr zusammen. Das Absurde wiederum ist, ich will jetzt nicht verallgemeinern, aber es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland und in vielen wohlhabenden Staaten die denken ihre Denkweise oder Kultur sei der Nabel der Welt. Wenn du schon so denkst, dass du so überintelligent bist, so ein großes Wissen hast und überlegen bist, dann zeig doch Güte und nimm die anderen mit. Lass sie teilhaben an deinem Wissen. Nimm sie an die Hand. Hol Sie da ab, wo sie sind. Die können nicht alle so wie du sein. Sonst wäre es auch langweilig.

Ich: Danke Saman, vielleicht ist das ein gutes Schlusswort.     

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