Unsere neue Heimat

Seit einiger Zeit, spätestens mit den Wahlerfolgen der AFD, erfährt der Begriff der Heimat in der öffentlichen Debatte eine Renaissance. Der Begriff polarisiert und erregt damit die Gemüter links und rechts des politischen Spektrums. Wo die einen in der Heimat Stabilität in unruhigen Zeiten suchen, wehren sich die anderen gegen ein rückwärtsgewandtes Konzept, das historisch schon zu oft missbraucht wurde. Damit ist die Diskussion um die Heimat entbrannt und Ausdruck unserer Zerrissenheit, anstatt Optionen zu entwickeln, diese zu überwinden.

Verunsicherung


Source: Pixabay.com

Viele Menschen, bei denen die Heimat wieder hoch im Kurs steht, verspüren derzeit ein existentielles Gefühl der Verunsicherung. Dieses Gefühl hat vielerlei Quellen und kann sich daher potenzieren. Da sind zum einen die sich in Auflösung begriffenen Selbstverständlichkeiten, die man gemeinhin mit der beruflichen Laufbahn verband. Dazu gehörten Glaubenssätze wie „wer arbeitet, soll davon leben können“, „wer sich anstrengt, wird belohnt“, zum Beispiel mit einer Beförderung und am Ende stand der familiäre Traum vom Eigenheim. Stattdessen sind gebrochene Erwerbsbiografien – Umzug statt Sesshaftigkeit – die neue Selbstverständlichkeit; und nur in privilegierten Kreisen kann man sich über diesen Umstand freuen. Veränderte Anforderungen an den Beruf, wie die Zunahme des Dienstleistungssektors, die Digitalisierung der Arbeit, zunehmendes Pendeln, Befristung von Arbeitsverträgen und Ausuferung des Niedriglohnsektors tragen zur weiteren Verunsicherung bei. Hinzu kommt ein Blick auf die Zukunft, der von Abstiegsängsten geprägt ist. Im Hintergrund wirken zudem langfristige Veränderungen, die den gesellschaftlichen Kitt zerbröseln lassen. Dazu gehören Entwicklungen wie die Auflösung der Großfamilie  und die nachlassende Relevanz von Vereinen und Kirchen.

Auch die internationale Lage verunsichert: Trump im Weißen Haus und Europäische Desintegration, während die Finanzkrise von 2008 noch in den Knochen steckt. Dort, wo Menschen diese und ähnliche individuellen Erfahrungen machen, ihre soziale Frage oder ihr Bedürfnis nach Verbundenheit und Stabilität in der Öffentlichkeit nicht thematisiert werden, entsteht ein Gefühl allein gelassen und nicht ernst genommen zu werden. Der politische und gesellschaftliche Begriff der Klasse ist aus der Mode gekommen und wird nur noch von gefühlt Ewiggestrigen verwendet.

Source: Pixabay.com

Gleichzeitig haben viele gesellschaftliche Gruppen Teilerfolge gegen ihre Diskriminierung und für ihre Anerkennung erringen können und kommen dabei ganz ohne Heimatbegriff aus. Dazu gehört die zunehmende Anerkennung von bestehenden patriarchalen Strukturen und sexueller Belästigung (#Metoo, #Aufschrei), die Einführung der Ehe für Alle und des Gendersternchens, sowie die Bewusstmachung beherrschender rassistischer Strukturen gegenüber Migrant*innen und sogenannten nicht-Biodeutschen. Diese politischen Kämpfe um Anerkennung werden häufig lediglich unter dem Begriff der politischen Korrektheit zusammengefasst, die angeblich vorschreibt, wie u.a. nichtdiskriminierende Sprache funktioniert. Diese Diskurse setzen ein angemessenes Verständnis von Macht, Herrschaft und gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen voraus, die Nichtakademiker teilweise nicht nachvollziehen können und sie von der Diskussion ausschließt. Während also gesellschaftliche Gruppen  gegen ihre Diskriminierung Teilerfolge erringen und ihre Bedürfnisse zunehmend  in der Öffentlichkeit ernst genommen werden, führt das Ausbleiben dieser Anerkennung auf Seiten der Verunsicherten zu einem Gefühl der Unausgeglichenheit der sozialen Fragen. Die Aufwertung von gesellschaftlichen Gruppen geht für einige nur als Nullsummenspiel, nämlich der gleichzeitigen Abwertung der eigenen Position. Anstelle von gegenseitiger Solidarität entsteht bei manchen der Eindruck von Partikularinteressen.

Rechts

Unter dem Eindruck der Unausgeglichenheit der sozialen Fragen entsteht ein Nährboden für eine Instrumentalisierung des Heimatbegriffs von Rechts, der nicht nur ein Zurück zur gewohnten Übersichtlichkeit und Selbstverständlichkeit suggeriert, sondern auch eine emotionale Komponente einer Sehnsucht nach Geborgenheit, gegenüber einer wahrgenommenen sozialen Kälte beinhaltet. In dem Begriff der Heimat erkennt man unter dieser Perspektive auch etwas Bedrohtes und Schützenswertes. Angebliche Traditionen werden aufgewertet und idealisiert, zugleich das Fremde als nicht dazugehörig empfunden und zur Gefahr stilisiert. Dabei wird schnell klar, wer als Gefahr ausgemacht wird: wahlweise oder in Kombination der Islam, die Flüchtlinge und Migrant*innen, Gutmenschen, Feminist*innen oder Mitglieder der LGBTQI- Gemeinde. Um die Heimat in Zeiten des Umbruchs zu schützen, setzen sie auf Ausschluss und eine Rückkehr in eine beruhigende Übersichtlichkeit.

Mitte

Der Heimatbegriff sickert zunehmend auch in die politische Mitte und die Parteien jenseits der AFD ein und wird von Politikern entweder verwandt, um das politische Potenzial zu nutzen und bei den Rechten zu wildern oder um den Begriff dem Monopol der Rechten vorzuenthalten und ihn positiv zu konnotieren. So hat sich das Innenministerium unter Horst Seehofer seine Zuständigkeiten auf den Bereich Heimat ausgedehnt. Und auch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mahnte zum Tag der Deutschein Einheit 2017, dass der Heimatbegriff nicht den Nationalisten überlassen werden dürfe. Zunehmend betonen auch Politiker und Intellektuelle links der Mitte die Notwendigkeit, dass man sich des Heimatbegriffs annehmen müsse. Dabei wird etwa darauf verwiesen, dass man die Heimatverbundenheit der Bürger*innen nicht ignorieren dürfe und dass die Heimat Orientierung gebe. Was aber genau hier unter Heimat verstanden werden soll, außer einem romantischen Verweis auf Regionalität und Brauchtum, bleibt häufig – bewusst oder unbewusst – im Unklaren.

Links

Source: Pixabay.com

Die Nutzbarmachung des Heimatbegriffs löst bei vielen deutschen Linken ein Unwohlsein aus und erfährt daher immer wieder Kritik. Zuletzt etwa in der Taz am Wochenende  (16.2.19). In dem Artikel „Nicht unsere Heimat“, verweisen die beiden Autorinnen Hangameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir auf den Missbrauch des Heimatbegriffs, u.a. durch NPD, NSU oder einem Heimatminister der sich wiederholt öffentlich extrem diskriminierend gegenüber Flüchtlingen, Migrant*innen und Muslim*innen geäußert hat. Sie schlussfolgern, dass der Begriff schon immer rechts belegt war und daher auch gerne den Rechten überlassen werden kann. Ihr Kompromissvorschlag lautet, dass verschiedene Gruppen von Diskriminierten und Aktivist*innen Allianzen bilden sollten, um füreinander einzustehen und sich den ausschließenden Funktionen des Heimatbegriffs entgegen zu stellen.

Ich konnte mit vielen Argumenten in dem Text mitgehen. Jedoch verspürte ich bei der Lektüre auch eine gewisse Enttäuschung und ich versuchte nachzuforschen woher diese rührte. Ich meinte einen Reflex vieler Linker wiederzuerkennen, sich auf eine Position der Kritik und Ablehnung gegenüber der gesellschaftlichen Mitte zurückzuziehen, ohne ihre Bedarfe und Anliegen in den Blick nehmen zu wollen und sich dem Gespräch zu verweigern. In dem Artikel sind die Ausgeschlossenen diejenigen Akteure, von denen positive Veränderung ausgehen soll. Bei aller Berechtigung von Identitätspolitik und den Kämpfen gegen Diskriminierung jeglicher Couleur, habe ich den Eindruck, dass es zu kurz greift nur den Kampf gegen Ausgrenzung in den Mittelpunkt zu stellen, ohne alle Menschen in den Blick zu nehmen. Das beinhaltet auch das anfangs angesprochene Gefühl der Verunsicherung Vieler zunächst einmal wahr- und ernst genommen zu werden. 

Die neue Heimat

Source: Pixabay.com

Ich frage mich, ob es nicht möglich wäre den Begriff der Heimat tatsächlich mit einem neuen Inhalt zu füllen. Die beiden Autorinnen sagen, der Heimatbegriff sei weiß, christlich und patriarchal besetzt. Wie wäre es aber, wenn wir versuchten ihn neu besetzen und mit einer positiven Zukunftsvision, die progressiv und inklusiv ist, zu verbinden? Wie würde unsere Heimat aussehen, wenn der Begriff stattdessen gelebte Solidarität, Vielfalt und Chancengleichheit beinhaltete? Können wir nicht alle gemeinsam an einem Strang ziehen und uns natürlich gegen jegliche Form von Diskriminierung stellen, dann aber noch einen Schritt weitergehen und darüber diskutieren was unsere gemeinsame Ziele sein könnten, wie wir gemeinsam zusammenleben wollen, was wir als unser Gemeinwohl definieren würden? Statt einer Allianz der Ausgeschlossenen, träume ich von der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft, zu der grundsätzlich alle als Verbündete eingeladen sind. Dabei kann die Heimat als Vehikel fungieren, indem wir sie nicht in der Vergangenheit suchen, sondern sie in der Zukunft als wünschenswertes Ziel verorten. Das kann unser heutiges Handeln orientieren und es mit Sinn aufladen.

Lasst uns  unsere gemeinsame neue Heimat nicht nur theoretisch neu definieren, sondern sie auch praktisch neu gründen. Lasst uns darüber austauschen, was wir für bewahrenswert halten und mitnehmen möchten und was wir  ausmisten wollen. Lasst uns darüber nachdenken, was wir in Zukunft anders machen wollen. Dabei verstehe ich Heimat als einen Ort des gemeinsamen Gestaltungsspielraums. Einen Ort, an dem ich mich mit anderen Menschen verbinde, wo wir ein solidarisches Zusammenleben in die Praxis umsetzen können. Durch die Praxis wird sich eine neue Kultur herausbilden können, wie wir miteinander umgehen. Dabei sollte die gegenseitige Achtung und Akzeptanz im Mittelpunkt stehen. Alle gleichberechtigten Interessen und Ideen, wie die gemeinsame Zukunft gestaltet werde könnte, sollte grundsätzlich ernst genommen werden.

Comments (2):

  1. Christina

    März 15, 2019 at 5:13 pm

    Wirklich war, an dem Begriff kann man sich den Kopf zerbrechen. Keine der Positionen ist irgendwie anschlussfähig – ich stimme dir zu etwas neues muss her!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert