“Wie kann man so bescheuert sein?”, wurde ich heute gefragt. Was war geschehen? Ich hatte mein Fahrrad an einer schwarzen Plastikmülltonne angeschlossen, da weit und breit keine andere Möglichkeit in Sicht war. Klar, war ich mir nicht ganz sicher, ob das in Ordnung wäre, aber jedes Mal wenn ich an diesem Ort war, stand diese Tonne da rum. Nun stellte sich heraus, dass dieser ältere, sichtlich erregte Mann ein Problem damit hatte, er musste anscheinend diese Mülltonne wieder ins Haus stellen. Als mir dies klar wurde tat es mir Leid, habe mich entschuldigt, meinen Grund genannt und habe mich verabschiedet. Damit hätte man diese kleine Episode eigentlich sofort ad acta legen können. Aber diese Frage, “wie kann man so bescheuert sein” steckte noch in mir und schwang nach. Ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt, spürte diese harsche Zurechtweisung meines Verhaltens. Es war ein Übergriff, der sich nicht richtig anfühlte.
Kurze Zeit später stand ich im Stadthaus. Ein anderer älterer Herr, mit Rollator, beschwerte sich lautstark, dass eine jüngere Dame nicht die Drehtür benutzte, sondern die elektronische Tür für eingeschränkte Menschen. “Dämliches Weib” rief er ihr hinterher. Irritiert von dieser plötzlichen Aggression, drehte ich mich zu ihm und sagte nur “Na, das muss ja nu nicht sein”. “Wir können froh sein, dass diese Tür für Leute wie uns funktioniert”, erklärte er sich und war verschwunden. Diese beiden Episoden brachten mich zum Nachdenken. Ich war schockiert über den rauen Umgangston. Ich habe mich gefragt, was sagt das über eine Gesellschaft, über den Zusammenhalt aus, wenn Menschen andere Menschen, die Sie nicht kennen, in aller Öffentlichkeit spontan beschimpfen? Ich dachte nur “ernsthaft”?
Ich stellte aber auch fest, dass ich ein gewisses Verständnis für die Schimpfenden aufbringen konnte. Nicht über den Akt an sich, aber da steckten anscheinend ja berechtigter Gründe dahinter; die Mülltonne, die gerade nicht rein gebracht werden konnte, oder die Angst um den Zustand von Infrastruktur, die das Leben erleichtert. Wenn man sich erklärt, steigt die Wahrscheinlichkeit, der Grund für das eigene Unwohlsein von anderen nachvollzogen werden kann. Die Art, aber wie es geäussert wurde befremdet aber; die Kränkung macht es im Zweifelsfall schwer Verständnis aufzubringen. Eines wurde aber so erreicht, sie haben mit ihrer aggressiven Erregung Aufmerksamkeit erzeugt, sodass ich überhaupt eine Möglichkeit hatte zu verstehen, dass mein Verhalten oder das Verhalten der jüngeren Dame jemanden anderes gestört hat.
Wie häufig es wohl täglich vorkommt, dass das Verhalten anderer auf Unmut stößt, dieser aber nie geäußert wird? Macht uns diese Toleranz, dieses Schweigen überhaupt erst gesellschaftsfähig? Oder ist es nicht auch Ursache für weitere Ignoranz des Anderen, gehen wir Chancen aus dem Weg mit dem anderen in Kontakt zu gehen und diese kleinen Konflikten des Alltags zu thematisieren und zivilisiert zu lösen? Ich weiss es nicht. Ich würde mir aber grundsätzlich wünschen, dass wir als Gesellschaft mehr miteinander in Kontakt kommen. Und dazu gehören nicht nur Friede – Freude – Eierkuchen, sondern auch das Adressieren von Themen mit denen man nicht einverstanden ist und diese Konflikte zu lösen. Wie wir dies aber tagtäglich, auch immer wieder spontan, tun können, scheint eine Kulturtechnik zu sein, die wir als Gesellschaft noch lernen können. Ich würde mir wünschen, dass wir in der Lage wären, Konflikte im Alltag mit dem Gegenüber zu adressieren, ohne einen rauen Umgangston zu bemühen. Dazu gehört auch, dem oder der anderen ein Grundvertrauen gegenüber zu bringen, dass das Handeln nicht aus böser Absicht heraus entsteht. Und es setzt Aufmerksamkeit für die Befindlichkeiten anderer voraus.
Felix
März 8, 2020 at 7:30 pm
In Finnland wäre höchstwahrscheinlich genau dieses leise Aufregen passiert, das man eher runterschluckt – nur um es dann womöglich später in der Sauna herauszuposaunen 😀