Wer richtig leben will, muss das Falsche verändern.

Mit dem Verzicht auf den CDU-Vorsitz neigt sich die Kanzlerschaft von Angela Merkel dem Ende zu. Kaum ein Begriff hat Ihren Regierungsstil mehr geprägt, als die sogenannte Alternativlosigkeit. Diese Entpolitisierung hat die politische Auseinandersetzung ermattet. Im Rückblick erscheint die Politik der letzten Jahre bleiern und visionslos. Das Land wurde zwar stabil verwaltet, ohne aber neue Erzählungen und Ideen zu entwickeln, wie wir in der Zukunft miteinander leben wollen, trotz sich aller abzeichnender Herausforderungen.

Stattdessen hat eine sogenannte „Alternative für Deutschland“  sprachlich in ihrem Namen auf diese Vorsicht und Fantasielosigkeit der politischen Zeit reagiert. Politisch überzeugen ihre Konzepte aber nicht, ist das Weltbild der AFD doch viel zu sehr von Zukunftsängsten geprägt. Ihre politische Bewegung ist rückwärtsgewandt, genährt von einer Sehnsucht nach einer heilen vergangenen Welt, die es so wohl faktisch nie gegeben hat. Als Ursachen für komplexe gesellschaftliche Probleme wird immer wieder die Zuwanderung ausgemacht.

Gegen eine konstruktive Thematisierung der Flüchtlingsfrage ist auch prinzipiell nichts auszusetzen. Schließlich werden die Neuankömmlinge genauso ihren Teil zur Gestaltung der Zukunft unseres Landes beitragen; einfach indem sie da sind und im gesellschaftlichen Kontext handeln und leben. Möchten wir eine gemeinsame Zukunft bewusst gestalten, so müssen wir darüber nachdenken, welche Rolle wir Migranten und Geflüchteten in unserer Gesellschaft zugestehen und wie wir sie dabei einbinden wollen.

Derzeit scheint aber ein zukunftsgerichteter Diskurs über unser aller Zusammenleben wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Die aktuelle Diskussion ist zumeist vergiftet, sie ist von Hysterien, Unwahrheiten und  Ängsten geprägt. Zudem verdeckt die kontinuierliche Thematisierung der Zuwanderung aktuelle drängende Fragen. Somit hat zwar die Flüchtlingsfrage Merkels „Alternativlosigkeit“ übertönt, eine konstruktive Gesellschaftspolitik findet aber immer noch nicht statt.

Nie hätte ich mich als politikverdrossen beschrieben, bin ich doch viel zu sehr an Politik interessiert. Allerdings muss ich mir eingestehen, dass ich aktuell von der Bundespolitik keine entscheidenden Impulse für eine zukunftsgerichtete Gesellschaftspolitik erwarte. Wer heutzutage innovativ und „Outside the Box“ über Veränderungen gegenüber dem Status Quo nachdenkt, geht eher in die Wirtschaft oder gründet gleich selbst ein Startup, anstatt in die Politik zu gehen. Aber vielleicht erwarte ich auch einfach zuviel von der Politik und schiebe gerne die Verantwortung an sie ab, ohne mich an die eigene Nase zu fassen. Denn wie wir langfristig zusammenleben wollen, kann nicht alleine von politischen Konzepten erdacht und verordnet werden. Vielmehr bestimmen unser alltägliches Handeln und miteinander interagieren wie wir heute und zukünftig zusammenleben.

Vielleicht ist es an der Zeit im Kleinen zu überlegen, wie wir miteinander leben wollen und dies auch praktisch auszuprobieren. Anstelle, wie es in modernen Gesellschaften üblich ist, einfach aneinander vorbei zu leben und uns fremd zu bleiben, würde ich mir wünschen, dass wir die Menschen, die um uns herum leben besser kennen lernen. Das sollten wir gerade dann tun, wenn die andere Person nicht unbedingt unserem Milieu bzw. unserer „Blase“ angehört. Viel zu oft sind gesellschaftliche Trennlinien von Alter, Klasse, Bildungs- und Migrationshintergrund, etc. geprägt. 

Es wäre einen Versuch wert, über neue Kontakte Brücken zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen, sogenannte Echokammern durchlässiger zu machen und allgemeine Empathie für die Lebenswirklichkeit anderer Menschen wecken. Das ist nicht leicht. Vielleicht ist es eine riesige Herausforderung und verlangt einen Sprung in sehr kaltes Wasser – Aber was für ein Abenteuer? Sonst klagen wir stets darüber, dass es in der modernen Gesellschaft nur noch so wenig Abenteuer gibt. Man braucht also nicht unbedingt mit Bagpack durch Indien reisen, mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug springen oder seinen Partner zu betrügen. Das Abenteuer liegt jeden Tag vor unserer Nase, in der Möglichkeit einen Fremden näher kennenzulernen.

An der Gestaltung unseres zukünftigen Zusammenlebens kann sich jeder beteiligen und seine eigenen Ideen einbringen. So gibt es bereits überall spannende Initiativen und Orte, die dafür sorgen, dass sich Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe begegnen. Die Bandbreite reicht von Flüchtlingsprojekten, über Sportvereine bis hin zu Mehrgenerationenhäusern. Etwas, das viel zu oft übersehen wird, ist, dass die Grundlage für den Erfolg solcher Initiativen die respektvollen gegenseitigen Beziehungen darstellen. Die Motivation derjenigen, die sich engagieren ist nicht reine Großzügigkeit; Sie stellen fest, dass sie durch den Kontakt zum Anderen genauso profitieren, etwa indem sie voller Neugier spannende Einblicke in ein anderes Leben erhalten. Gerne würde ich in Zukunft in diesem Blog interessante Initiativen vorstellen und von ihren individuellen Erfolgsfaktoren und Herausforderungen berichten.

Ich bin nicht blauäugig; die erhöhten Kontaktanstrengungen über unsere üblichen Verdächtigen hinaus wird nicht dazu führen gesellschaftliche Konfliktlinien zu beseitigen. Vielleicht werden Sie sogar teilweise deutlicher zu Tage treten. Das Interessante ist aber, dass ich sie direkter erlebe und nicht aus der Zeitung oder dem Fernsehen. In der direkten Auseinandersetzung können Konflikte konstruktiver bearbeitet werden, da das Gegenüber gegenseitiges Verständnis füreinander schafft. Die schlimmsten Konflikte entstehen, wenn man aufhört miteinander zu reden. Dann entsteht ein größeres Risiko sie zu entflammen.

Bei der Frage nach dem Zustand des sozialen Zusammenhalts in der modernen Welt muss ich immer an Adornos Aussage denken: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“. Eine Konsequenz die daraus folgen könnte ist, dass wir uns zwar philosophisch den Kopf zerbrechen; wenn es aber ums Handeln geht, jenen Kopf in den Sand stecken – schließlich können wir hier kein richtiges Leben führen. Oder aber wir sagen voller Trotz: Wir wollen das Richtige Leben und sind bereit das Falsche zu verändern. Oder frei nach Kennedy: Frag nicht, was die Politik für den gesellschaftlichen Zusammenhalt tun kann, überlege wie du im Alltag deinen Beitrag leisten kannst.

Comments (1):

  1. Con

    Dezember 25, 2018 at 4:20 pm

    Toller Text, danke für die Initiative und die vielen Denkanstöße.

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